Eine immer größer werdende Flut an Texten, an Ausstellungskatalogen, Fachartikeln und Blogs bricht über die kunstinteressierte Leserschaft herein. Texte, die viel zu oft ins Leere laufen, deren Echo in der schier unüberschaubaren Masse der Wortmeldungen ungehört verhallt. Zumeist sind es in ein enges Korsett gezwängte Textkörper, in pädagogischem Ton zielgruppenspezifisch abgefasst, im Internet zugeschnitten auf die Netzgemeinde und dort mehr noch auf den Algorithmus.
Das Schreiben über Kunst ist etwas, das an den Universitäten selten gelehrt wird, das im Curriculum wenig vorgesehen ist, in das man mehr oder weniger zufällig hineinrutscht. Im Hinblick auf nicht selten prekäre Beschäftigungsverhältnisse muss das Schreiben über Kunst nicht nur Leidenschaft sein, sondern wird der Kritiker beinah zwangsläufig zum Multirollenspieler. Kritik ist heute wenig unabhängig, wird kaum durch Stipendien gefördert und ist mehr notwendiges Beiwerk einer erfolgreichen Ausstellung.
Trotzdem ist junge Kunstkritik noch möglich und vor allem wichtig. Besonders aus einer weiblichen Perspektive auf einen bis heute vornehmlich männlich dominierten Blick auf Kunst. Warum nicht wieder mehr wagen und aus dem White Cube steriler Texte ausbrechen? Weg von schnelllebigen Besprechungen, hin zu solchen mit Nachhall, die zwar aktuell, aber zeitlos sind. Kunstkritik kann so viel mehr als Beschreibung, als affirmatives Museumsmarketing sein. Als Gegenwartsbeschreibung und Zukunftsecholot kann sie taktil Diskurse ausloten und Debatten anstoßen. Relevanz ergibt sich aus Mut zur Einordnung, keiner Scheu vor Subjektivität und zugleich einem feinsinnigen Gespür für Ambivalenzen. Die zeitgenössische Kunst mischt sich ein, ist radikal und ungewöhnlich. Warum ist es die Kritik so selten? Oftmals ist der Ausbruch aus dem vorgegebenen Rahmen nicht erwünscht, sollen Texte aller Autoren gleich klingen, dabei ist es besonders der unterschiedliche Blick auf Kunst, der differierende Umgang mit Sprache, der Kritiken erst interessant macht. Es gilt, fehlende Kriterien aufzustellen und wieder zu verwerfen, mit Textsorten wie Essay, Brief, Gedicht zu spielen, eine übergreifende Erzählung aufzumachen, letztlich mit Leidenschaft für Kunst und Sprache zu begeistern.
Das „Schwarze Quadrat“ von Kasimir Malewitsch, das zum ersten Mal im Dezember 1915 im Rahmen der Ausstellung „Letzte futuristische Gemäldeausstellung 0,10“ im damaligen Petrograd der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, gilt als Nullpunkt der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts und löste unter den zeitgenössischen Kunstkritikern Empörung aus. Als Meilenstein der Kunstgeschichte steht es für einen Neubeginn, das Absolute, die Freiheit vom Gegenstand. Warum nicht auch in der Kunstkritik neue Wege gehen?