Die Biennale für aktuelle Fotografie verbindet alle zwei Jahre über die Grenzen zweier Bundesländer hinweg Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen in einem städteübergreifenden Dialog. An sechs verschiedenen Ausstellungsorten können noch bis zum 22. Mai Themenausstellungen mit aktuellen fotografischen Positionen, angesiedelt zwischen Kunst, Journalismus und Aktivismus, besucht werden. Wie lassen sich Mensch, Umwelt und Technologie angesichts der dramatisch fortschreitenden Klimakatastrophe wieder in Einklang bringen? Die diesjährige Biennale versammelt unter dem Titel „From Where I Stand“ internationale Kunstschaffende, die der Ausbeutung von Mensch und Natur eine visuelle Stimme verleihen sowie die Möglichkeiten des Mediums neu ausloten. Auch die Biennale selbst stellt sich mit einem umfassenden Digitalprogramm neu auf. Zeit neue Wege zu gehen!
Der Mensch – Blaualge der Erde?
Grünlich-weiße Wolken, helle Wirbel, transparente Schleier, die tiefes, dunkles Blau durchweben. Als Schollen treten sie vor das Auge, verdichten sich am Rand, setzen sich als milchige, kristalline Partikel ab. Was nach Leben aussieht, bedeutet Tod. Denn die Strudel werden von wabernden, schnell wachsenden Blaualgen hervorgerufen, welche die Meere mit einem grünen Teppich überziehen und weniger Algen als vielmehr Cyano-Bakterien sind. Der Titel „Viriditas“, grünlich, bezeichnet ein Farbspektrum, das sonst für Vitalität und Leben steht. Hier ist es gleichbedeutend mit Toxizität. Denn die Algenansammlungen verdrängen andere Lebensformen, verbrauchen sie doch während ihres Lebens- und Todeszyklus Unmengen an Sauerstoff. Fische, Seesterne, Muscheln und Krebse sind in diesen Todeszonen nicht mehr lebensfähig, allein Bakterien bevölkern das lebensfeindliche Terrain. Die todbringenden Gewächse beziehen ihre unheilvolle Kraft aus industriellen und landwirtschaftlichen Abwässern. Vor allem durch Stickstoff-Dünger wuchern die Algen wie entartete Zellen, werden zu Geschwüren an der Oberfläche des Meers. Unmittelbar vor der Haustür gelegen, finden sich unglaubliche 60.000 Quadratmeter Todeszone vor den Küsten der Ostsee. Nicht für immer bleiben diese Zonen unbewohnbar, aber das Ökosystem wird nachhaltig modifiziert. Die in Polen geborene Künstlerin Małgorzata Stankiewicz macht die Algenteppiche als Cyanotypien von veränderten Satellitenbilder der ESA und NASA sichtbar. Sie umgeben in einer immersiv erlebbaren Installation die Besuchenden der Kunsthalle Mannheim, lassen uns das sonst in Gänze nicht wahrnehmbare Phänomen sinnlich erfahren.
Wo: „Contested Landscapes“, Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, 68165 Mannheim.
Im Podcast zur Biennale könnt ihr euch auf dem Weg mit dem Fahrrad zur Kunsthalle Mannheim begleiten lassen und tiefer in die Problematik rund um Blaualgen in der Ostsee eintauchen. Hier findet ihr den Talk der Künstlerin mit Alexander Hagmann.
Kampf gegen Windturbinen?
Ernste, im Schatten liegende Augen. Tiefe Furchen, die Gesicht wie Land zerpflügen. Helle Linien, die gleich Narben die Region Barroso in Nordportugal durchziehen. Es sind Spuren, die auf dem Antlitz von Mensch wie Natur hinterlassen wurden, Spuren der Ausbeutung, Kampflinien zwischen kollektiven und individuellen Interessen. Es sind keine Narben, die heilen, blasser werden und beinah verschwinden. Denn immer größer wird der Bedarf an Lithium, immer intensiver die Suche nach Mineralien in einer wie Barroso lithiumreichen Region. Sind dies die Schattenseiten von Windturbinen, Solarpanelen und Elektroautos? Lithium ist im Kontext der Energiewende von großer Bedeutung. Aus diesem Grund hat der Rohstoff in den vergangenen zehn Jahren einen enormen Preissprung gemacht, so dass sogar Tesla-Chef Elon Musk jüngst Gründenden den Einstieg in die Lithium-Branche empfahl. Auch die portugiesische Regierung, Investoren und Bergbaukonzerne wollen vom Megatrend profitieren. Die Lithiumminen verschmutzen jedoch Ackerböden, Grundwasser und Flüsse, richten irreparable Schäden in einer der wenigen Agrarkulturerbestätten in Europa an. Der Widerstand der Bewohnenden zumindest aber liegt im Schatten, wird von der französisch-portugiesischen Künstlerin Silvy Crespo eindrucksvoll dokumentiert. Umweltverschmutzung auf dem Land für saubere Luft in der Stadt? Ein Dilemma.
Wo: „Narratives of Resistance“, ZEPHYR – Raum für Fotografie in den Reiss-Engelhorn-Museen, Museum Weltkulturen D5, 68159 Mannheim.
Wenn ihr mehr über den Lithiumabbau in Portugal erfahren möchtet, könnt ihr hier den Spaziergang der Künstlerin mit Alexander Hagmann zum Reiss-Engelhorn-Museum begleiten.
Fessel oder Freiheit
Wo befinden wir uns? Im physischen oder doch im digitalen Raum? Große bunte Bildtableaus von Anna Ehrenstein lassen in Mannheim eins ins andere fließen. Surreale Fotografien porträtieren den bunten Kosmos von Kreativen aus aller Welt, die im Senegal zusammenkommen. Es entsteht ein schillerndes Kaleidoskop aus Menschen, Mode, Mustern. Fotografie ist hier weit mehr als Dokumentationsmedium, wird Spiegel einer modernen Gesellschaft, in der Vernetzung rund um den Globus möglich ist, Spiritualität und Technologie koexistieren. Befinden wir uns in der Ausstellung? Im Mannheimer Hauptbahnhof? Oder doch innerhalb des virtuellen Rundgangs im digitalen Raum? Alles zugleich, ist wohl die Antwort in einer globalisierten Welt. Technologie kann dabei stets beides bedeuten: Fesseln wie Freiheit. Sind wir diesen neuen Technologien schicksalhaft ausgeliefert? Oder haben wir selbst die Zügel noch in der Hand?
Wo: „Collective Minds“, PORT25 – Raum für Gegenwartskunst, Hafenstraße 25-27, 68159 Mannheim und Hauptbahnhof Mannheim.
Im Podcast zur Biennale erfahrt ihr hier mehr über Anna Ehrenstein und ihren künstlerischen Ansatz.
Auf der Suche
Drei junge Männer, die als kleine Gemeinschaft zusammenleben. Freunde vielleicht? Eine studentische Wohngemeinschaft? Tatsächlich sind es Migranten, die ohne Papiere nach Spanien eingereist sind und vom in Kolumbien geborenen, aber in Spanien lebenden Künstler Felipe Romero Beltrán über ein Jahr lang begleitet wurden. In einem von der Regierung zugewiesenen Gebäude wartet die Gruppe auf eine Entscheidung bezüglich ihres Aufenthaltsstatus. Beltrán dokumentiert diese Zeit des Wartens, den Zustand der Schwebe, in welchem die jungen Männer Erinnerungen an Heimat und Reise mit dem Künstler teilen. Inszenierte Szenen geben Einblick in die Gefühlswelt der vermeintlich Heimatlosen, der Suchenden nach Halt in einem fremden Land. In einem Land, das angesichts der in Speisen, Gebäuden und Ornamenten sichtbaren Einflüsse nordafrikanischer Kultur als gar nicht mal so fremd erscheint.
Wo: „Bodies in (e)Motion“, Kunstverein Ludwigshafen, Bismarckstraße 44–48, 67059 Ludwigshafen am Rhein.
Die Zukunft beginnt jetzt
Ständig wollen wir besser werden, schneller, größer, schlauer. Aber wann ist etwas ein „harmloser“ Eingriff und ab wann eine erhebliche Veränderung des menschlichen Seins? Wann sind wir noch wir selbst? Wenn man an eine Optimierung des menschlichen Körpers durch Wissenschaft und Biohacking im Sinne des Transhumanismus denkt, kommen einem sofort Cyborgs aus Science-Fiction-Filmen in den Sinn. Aber was ist mit all den kleinen technischen Verbesserungen, die heute schon ganz selbstverständlich Teil unserer Körper sind? Der Schweizer Künstler Matthieu Gafsou katalogisiert eben diese Körpermodifikationen wie Kontaktlinsen, Herzschrittmacher, Proteinriegel oder Smartphones in eindringlichen Bildern. Ein weit aufgerissenes Auge legt die von kleinen roten Äderchen eingefasste, durchsichtige Linse frei, die unmittelbar auf dem Augapfel aufsitzt und die Sehfähigkeit der Kontaktlinsentragenden erhöht. Mittlerweile forschen Unternehmen an einer sog. iLens, einer Kontaktlinse, die weit mehr als nur die Sehfähigkeit optimiert. Ähnlich wie mit Google Glasses lassen sich Fotos und Videos aufnehmen. Die Linse soll zudem eine Zoomfunktion besitzen, Tragende auf zu lange Bildschirmzeit hinweisen und eine Nachtsichtfunktion integrieren. Mit dem Smartphone verbunden ließen sich AR Filter einblenden und die Augenfarbe auf Knopfdruck modifizieren. Klingt verrückt? Vielleicht ist der Drang nach nie endender Optimierung der menschlichen Leistungsfähigkeit ja auch genau das.
Wo: „Shaping Data“, Wilhelm-Hack-Museum, Berliner Straße 23, 67059 Ludwigshafen am Rhein.
Gemeinsam mit Matthieu Gafsou im Gespräch mit Alexander Hagmann lässt sich hier der Weg zum Wilhelm-Hack-Museum bestreiten und mehr über Transhumanismus sowie den „ersten Cyborg“ erfahren.
Der Weg des Baumes
Wir alle kennen das verlockende Angebot der Fluggesellschaften, den verursachten Kohlenstoff Fußabdruck mit einer kleinen Abgabe zu eliminieren. Die in Norwegen geborene Künstlerin Eline Benjaminsen ließ sich 2020 auf genau dieses Angebot ein. Doch wurde der unsichtbare Baum tatsächlich gepflanzt? Eine Frage, der Benjaminsen auf den Grund gehen wollte und der sie bis ins Great Rift Valley nachging. Was auf den ersten Blick so positiv schien, entpuppte sich als Vorwand für die kenianische Regierung, die indigene Sengwer-Gemeinschaft im Embobut-Wald zum Verlassen ihrer Heimat zu zwingen. Seit Jahrhunderten leben die Sengwer an diesem Ort, betreiben auf ganzheitlichem Wissen beruhende, nachhaltige Waldwirtschaft. Doch zu ihrer Heimat wird den Sengwern als vermeintlichen „Naturzerstörern“ nun unter dem Deckmantel des Schutzes ökologischer Vielfalt der Zugang verwehrt. Häuser wurden niedergebrannt und dem indigenen Volk seine Lebensgrundlage wie kulturelle Identität geraubt. Westliche Länder tragen dabei durch Geldzahlungen in Form eines fortgesetzten Imperialismus indirekt zur Vertreibung der Sengwer bei und auch Benjaminsen nahm unbewusst an der Unterdrückung teil. Im Heidelberger Kunstverein veranschaulicht sie nun die zugrundeliegende CO2-Menge, die durch einen einzelnen Baum gebunden werden kann, untersucht Auswirkungen des globalen Handels mit Kohlenstoffemissionen auf die Verletzlichkeit unserer Ökosysteme. Wie weit sind wir im Interesse aller bereit zu gehen?
Wo: „Changing Ecosystems“, Heidelberger Kunstverein, Hauptstraße 97, 69117 Heidelberg.
Rot beleuchtete, dunkle Bäume unter sternenbedecktem Himmel. Allein das Firmament weist das Werk des in Ecuador geborenen Künstlers Misha Vallejo Prut als fernab jeder Großstadt aus, denn diese werden aufgrund von Lichtverschmutzung zumeist nachts ihres Himmels beraubt. Die vibrierenden Fotografien porträtieren die Region Sarayaku im ecuadorianischen Amazonasgebiet und den Alltag des dort lebenden Kichwa-Volks. Sie spiegeln die unaufhörliche Auflehnung des kleinen Volks gegen internationale Ölkonzerne wider, welche die Bodenschätze in ihrer Heimat schürfen wollen. Doch die Kichwa erreichten 2012 nicht nur eine offizielle Entschuldigung, sondern sogar eine finanzielle Entschädigung, indem sie im Prozess gegen die ecuadorianische Regierung vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Sieg errangen. Die Kichwa sind in ihren Augen Anwälte eines sonst stummen, aber den Menschen gleichrangigen „Lebendigen Walds“. Das Existenzrecht ihrer Heimat verteidigen sie mittlerweile sogar, mit neuen Technologien gerüstet, unter Zuhilfenahme von Social Media. Dort wenden sie sich an Menschen rund um den Globus und rufen dazu auf, sich gegen den fortschreitenden Klimawandel zu engagieren.
Wo: Hauptbahnhof Heidelberg und Kunsthalle Mannheim.
Wenn ihr mehr über die Hintergründe von Misha Vallejo Pruts Projekt erfahren möchtet, findet ihr hier einen Artist Talk des Künstlers mit Biennale-Kuratorin Iris Sikking.
„Biennale to go“ und „Biennale in a Book“
Wer es nicht mehr schafft, sich die Ausstellungen vor Ort anzuschauen, der kann sich über das vielfältige, kostenlose Digitalprogramm der Biennale freuen. Alle Ausstellungsorte lassen sich mittels virtueller Rundgänge in 360 Grad-Rundumansicht besuchen. Mit Artist Talks auf YouTube und dem Podcast „Biennale to go“ können Interessierte zudem tiefer in einzelne Themen eintauchen und die Kunstschaffenden im Gespräch kennenlernen. Der Podcast begleitet die Besuchenden auf ihrem Weg von Ausstellung zu Ausstellung und richtet sich in seiner Länge nach dem jeweiligen Fortbewegungsmittel der Wahl. Wer klimafreundlich zu Fuß geht, lernt mehr über die Hintergründe als Autofahrer und Autofahrerinnen. Ganz entspannt lässt sich der Podcast aber natürlich auch von zuhause – ebenfalls sehr klimafreundlich – verfolgen. Besonderen Spaß macht die Gestaltung eines eigenen Buchs zur Biennale. Mit „Biennale in a Book“ lassen sich eigene Gedanken, Gefühle und Bemerkungen zu den künstlerischen Positionen notieren und im Zusammenspiel mit den zur Verfügung gestellten Werkabbildungen und Texten zu einem visuell ansprechenden Buch zusammenstellen sowie herunterladen. Die Bebilderung des Artikels ist übrigens meinem persönlichen Biennale-Buch entnommen.
Von hier aus
Wo stehen wir angesichts wachsender ökologischer und politisch-sozialer Herausforderungen? Wie lässt sich wieder ein Gleichgewicht zwischen Mensch, Technologie und Umwelt herstellen? Und wie ermöglichen wir künftigen Generationen ein nachhaltiges Leben? Es sind diese Fragen, welche die Welt dieser Zeit umtreiben und auch die Kunstschaffenden beschäftigen. Diese geben Meeresverschmutzung, Abfallwirtschaft und Mineralienabbau eine Plattform, verleihen den oftmals vergessenen Menschen vor Ort ein Gesicht und lassen lebendige Archive entstehen. Sie reflektieren den eigenen Standpunkt und beziehen von hier aus andere Perspektiven mit ein. Anhand der eindringlich visualisierten Einzelschicksale werden wenig beachtete Konflikte zwischen globalen und lokalen Interessen sowie die Schattenseiten vermeintlich ökologischer Projekte erfahrbar gemacht. Denn Natur muss mehr sein als eine Ressource für ökonomisches Wachstum. Es gilt, wie so oft, den Blick zu schärfen für scheinbar vernachlässigbare lokale Belange, ihn gleichsam zu weiten und mit dem Bewusstsein um den eigenen Standpunkt nach vorne zu gehen.
Wo: Die Biennale für aktuelle Fotografie lässt sich vor Ort in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg und/oder digital als virtueller Rundgang, Podcast sowie Buchprojekt erleben.
Wann: Die Biennale läuft noch bis Sonntag, den 22. Mai. Die beiden Ausstellungen an den Bahnhöfen Mannheim und Heidelberg laufen noch bis Mittwoch, den 22. Juni.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine gesponserte Kooperation mit der Biennale für aktuelle Fotografie. #werbung #collaboration #sponsoredpost