Die Ausstellung „Thomas Schütte. Keramik“ im Hetjens-Museum in Düsseldorf zeigt den 1954 geborenen international renommierten Künstler der deutschen Gegenwartskunst auf der Suche nach der äußeren Gestalt menschlicher Natur, nach der dem Sein innewohnenden universellen Schönheit. Die Werke im Festsaal des Palais Nesselrode gewähren Einblick in das aktuelle Schaffen des Bildhauers. Nachdem zu Beginn des Jahres unter dem Titel „Thomas Schütte: Köpfe“ einige seiner Werke in der Skulpturenhalle in Neuss zu sehen waren, überraschen uns an diesem für zeitgenössische Kunst eher ungewöhnlichen Ort nun bunte Keramiken präsentiert in kleinen Kabinetten. Dabei bietet sich das sonst eher verstaubte Hetjens-Museum für eine solche Präsentation in besonderem Maße an, da Schütte in handwerklicher Virtuosität nahtlos an die Objekte der Dauerausstellung zur Geschichte der Keramik anknüpfen kann. Der Direktorin Daniela Antonin, unter deren Führung das Hetjens-Museum seit 2017 steht, ist mit dieser Ausstellung also ein besonderer Coup gelungen.
Die kleine Schau zeigt exquisite Werke aus dem Schaffen des Künstlers, die einen Eindruck von seinem individuellen Prozess der Formfindung vermitteln. Sogenannte „Ceramic Sketches“ veranschaulichen Schüttes Arbeitsweise und lassen den Besucher an der Ideenfindung des Künstlers teilhaben. Die Präsentation in engen Kabinetten zwingt den Besucher dabei zur intensiven Begegnung mit den ausgestellten Objekten.
Insbesondere die präsentierten Köpfe aus glasierter Keramik verdeutlichen, wie Schütte sich auf vielfältige Weise der menschlichen Natur zu nähern versucht, indem er die klassische Darstellung der rundplastischen Büste aufnimmt und variiert. Ein „Frauenkopf“, von weitem ein opak schwarzer Block, schimmert in königlichem Blau bei näherer Betrachtung.
Die Büste ist von antiker Schönheit mit klassischen Zügen. Zugleich ausdrucksstark und zart scheint sie beinah von innen heraus zu leuchten. Licht und Schatten, zahlreiche Spiegelungen auf der Oberflächenstruktur, die ganz im Gegenteil zu früheren Arbeiten sanft modelliert wirkt, betonen die individuellen Züge des Porträts und verleihen ihm etwas Erhabenes. Doch im Ausdruck von Willensstärke und strenger Eleganz wohnt den Augen des Frauenkopfes ein melancholischer Glanz, ein schwermütiges Funkeln inne.
Trotz ihrer Stärke im Ausdruck liegt den Köpfen jegliches Pathos fern, indem Schütte stets das ihnen inhärente zerbrechliche Moment betont. In der Erhabenheit des Augenblicks gefangen, begriffen im Stillstand, ist doch jeder Kopf von Bewegung erfasst, sei es die Dynamik der inneren Regung oder die äußerlichen Windungen des Materials.
„Frauenkopf (implodiert)“ ist – zu früh aus der Form geholt – in sich zusammengesunken. Fluide Strukturen zerfließen, geschmolzene Masse senkt sich, neigt sich und scheint nur vorübergehend in einem Moment der Bewegungslosigkeit verharrend erstarrt zu sein. Der gestreckte Hals, der auf die Schulter gelegte Kopf, das gewundene Antlitz verleihen dem Porträt in besonderem Maße den Eindruck von Verletzlichkeit.
Schütte beschäftigt sich jedoch nicht nur mit dem Sein, sondern ebenso mit der dem Sein stets impliziten Vergänglichkeit, indem er sich in seinem Werk „Urnen“ mit dem Topos der Sterblichkeit befasst. Die Gefäße besitzen dabei nichts Düsteres, sondern sind bunt und muten eher wie mit der Patina vergangener Dynastien bedeckte Vasen an.
„You and Me“, an Totenmasken angelehnte Objekte, erwecken nie den Eindruck von Starre oder Leere, vielmehr weisen die Gesichter Züge tiefer Entspannung auf, als könnten sie jederzeit aus ruhigem Schlaf erwachen.
Immer wieder bricht Schütte die Ernsthaftigkeit der Motivik auf, indem er sich kräftig leuchtender Farbigkeit bedient, die Werke humoristisch betitelt oder die Physiognomien der „Experten“, die in ihrer Individualität karikatureske Allgemeingültigkeit aufweisen, zu Typen werden lässt.
Die bauchigen, farbenfrohen „Gartenzwerge“ beispielsweise haben nichts von kleingärtnerischer Spießbürgerlichkeit, sondern bestechen durch formvollendete Eleganz. Auf der Rückseite der „Urnen“ präsentiert und ähnlich wie diese angeordnet verweisen die „Gartenzwerge“ auf die vornehme Schlichtheit von Schachfiguren. Dort ein Läufer, vorne ein Turm, die in ihrer spielerischen Leichtigkeit an das triadische Ballett von Oskar Schlemmer erinnern.
Als Meister des Materials versteht es Schütte, jedem Werk durch die Beschaffenheit seiner Oberfläche einen anderen Ausdruck mit eigener Ästhetik zu verleihen. Mal von gläserner Leichtigkeit, mal wuchtig schwer sind die Gesichter tief zerfurcht und dann hingegen wieder von einer fast flächigen Glätte. Bei einigen Objekten wirken die Maserungen wie gemalt, scheint ein Pinselduktus der Glasuren erkennbar, andere sind von nahezu vollkommen gleichmäßiger Farbigkeit. Von fast naturalistischen Zügen bis zur völligen Verfremdung sind alle Schattierungen des Seins bis ins Fantastische zu finden. Schütte stellt in der präsentierten Werkauswahl im Hetjens-Museum seine Vielseitigkeit und Freude am Experiment bis hin zum Zufall mit einnehmend plastischen energiegeladenen Keramiken unter Beweis.
Titelbild: Thomas Schütte: „Frauenkopf“, 2019, Keramik, glasiert, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020. Foto: Julia Stellmann.